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Navid Tschopp###Ramadan Tagebuch, 2010

Der Fastenmonat Ramadan gehört zu den zentralen religiösen Bräuchen des Islam. Durch Enthaltsamkeit – verboten sind unter anderem Essen, Trinken, Rauchen und Geschlechtsverkehr – wird der koranischen Offenbarung gehuldigt, die in diesem Monat stattgefunden haben soll. Die Fastenpflicht gilt für alle gesunden erwachsenen Muslime, und zwar von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Danach wird im Kreis der Familie gegessen und getrunken. Den Abschluss der 28-tägigen Fastenzeit bildet das Fest des Fastenbrechens, auch «Zuckerfest» genannt, das als einer der höchsten islamischen Feiertage begangen wird. In einem Selbstversuch wendet sich der Künstler Navid Tschopp (*1978) dieser religiösen Tradition zu. Tschopp ist Sohn einer Schweizer Mutter und eines iranischen Vaters. Die ersten neun Jahre seines Lebens verbrachte der Künstler in der Heimat seines Vaters, wodurch ihm der Ramadan aus der eigenen Kindheit bekannt ist.

Der Alltag in islamischen Ländern ist während des Ramadan an die eingeschränkte Lebensweise angepasst, so werden etwa die Arbeitszeiten verkürzt und auf die Morgen- und Abendstunden verteilt. Im Kontext unserer westlichen Welt und ohne fromme Hingabe entpuppt sich diese religiöse Praxis jedoch als eine harte Probe in Selbstdisziplin, wie uns Navid Tschopps 28-teilige Zeichnungsarbeit Ramadan Tagebuch vor Augen führt. In einer Geste der Annäherung an die islamische Kultur hielt der Künstler 2010 Ramadan. Jede einzelne Zeichnung steht für einen Tag im Fastenmonat. Hielt sich Tschopp an die koranischen Fastenregeln, blieb das Blatt leer; verstiess er jedoch dagegen, brachte er – quasi als Sühne – die Ursache seines Sündigens zu Papier. 14 leere Blätter und somit sündenfreie Tage stehen 14 Farbzeichnungen gegenüber, auf denen wir Tschopps Regelüberschreitungen sehen. Es fängt harmlos an mit einer Tasse Kaffee. Das Glas Wasser, den Orangensaft, die Dattel oder die Zigaretten mögen wir ihm auch noch verzeihen. Dann aber direkt nach der Halbzeit ein Hamburger! Gefolgt von einer Tafel Schokolade, drei Tage später ein Glas Wein, tags darauf ein Kondom und schliesslich ein Spiegelei mit Speck, was das nur zu menschliche Hadern mit der selbstauferlegten Kasteiung herrlich illustriert. Die einzelnen Objekte der Sünde sind mit viel Liebe fürs Detail dargestellt, die Flächen präzis ausgearbeitet, die Schatten akkurat gesetzt. Natürlich ist der Hamburger angebissen, die Schokoladentafel aufgerissen, die Zigaretten aufgeraucht. Man meint die Anziehung zu verspüren, welche diese verheissungsvollen Repräsentanten weltlichen Vergnügens auf den Fastenden ausübten – fast als ob er den Genuss durch das Zeichnen wettmachen könnte. Seit geraumer Zeit fällt Navid Tschopp, der vor allem mit Interventionen im öffentlichen Raum bekannt wurde, als eigenständige Position in der Schweizer Kunstlandschaft auf. Seine umfassende Ausstellung im Kunstraum Baden Anfang 2016, aus der dieser Ankauf für die Sammlung des Aargauer Kunsthauses getätigt werden konnte, zeigte beispielhaft, wie Tschopp, aus einem tiefgreifenden politischen Bewusstsein heraus agierend, sich mit Fragen nach Herkunft, Relevanz und Verbindlichkeit auseinandersetzt.