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John M. Armleder###Ohne Titel, 1990

Aus der Gruppenschau Parallel Lines bei Susanna Kulli in Zürich konnten von John M. Armleder gleich zwei Werke erworben werden: Ohne Titel von 1990 und eine Zeichnung von 1987, die auf einem gefaltet vorgefundenen und an den lichtexponierten Stellen entsprechend vergilbten Bogen Packpapier einzig zwei senkrechte Bleistiftlinien zeigt. Lebt die Arbeit auf Papier von der Spannung zwischen der akkuraten minimalistischen Setzung und den Eigenqualitäten des Blattes, so überrascht das ähnlich ökonomisch konzipierte Gemälde zunächst durch seine stoff liche Uniformität. Der Eindruck verdankt sich dem Umstand, dass der Künstler die Leinwand ungrundiert beliess, wodurch sie die mit breitem Pinsel dünnf lüssig aufgetragene Farbe komplett absorbierte. Von Farbe kann indes nicht wirklich die Rede sein, denn Armleder hat zu einem leicht getönten Firnis gegriffen, zu einem Schutzanstrich also, der unter anderem der künstlichen Patinierung dient und gewöhnlich die letzte, oberste Malschicht überzieht. Da Pigmentschichten ebenso fehlen wie eine Darstellung im engeren Sinn, verschiebt sich der Fokus, hat man nur dieses eine, demonstrativ inhaltsleere Werk vor sich, zunächst auf das Wie und Womit der Malerei. Eine solche Betrachtung, selbst wenn sie – etwa in Bezug auf den wohldefinierten Anteil der firnisgetränkten Leinwandpartie – durchaus Erkenntnisse vermittelt, zielt jedoch ins Nichts: Armleders listige Wiedereinführung des von der Moderne fast durchwegs abgelehnten Firnisses als bildbestimmendes Element wird nämlich durch die Nonchalance der Ausführung und durch die eigentliche, auf den versatzstückhaften Umgang mit der Kunst gerichtete Untersuchung des Künstlers sogleich wieder negiert.

Ohne Titel entstand am Ende eines Jahrzehnts, in dem Armleder nach seiner Fluxus-Zeit vor allem mit seinen Furniture Sculptures erfolgreich war. Für eine nach dieser Werkgruppe benannte Einzelschau bei Susanna Kulli in St. Gallen malte er das Bild, wie für ihn typisch, im Herbst 1990 direkt vor Ort und kombinierte es mit einem kleineren Gemälde, an dem auch Sylvie Fleury beteiligt war. Als einziges Werk war es keinem Möbelstück zugeordnet und ist somit unter die autonomen formalistischen Kompositionen einzureihen, mit denen Armleder seit den frühen 1980er Jahren aus einer ironischnihilistischen und zugleich wertschätzenden Warte heraus im Rückgriff auf die historischen Avantgarden und abstrakten Nachkriegspositionen über das Kunstsystem nachdenkt. Die symmetrische Struktur – breites Mittelstück, schmale Seitenstreifen – qualifiziert es als Anleihe bei Barnett Newman. Wichtiger als die namentliche Referenz und der damit verbundene Werkzugang ist jedoch die Haltung kulturkritischer Distanz, auf der Armleders iterative Kunst, sein ‹refocusing› gründet. Vor dem Hintergrund des postmodernen Zweifels an einer ermüdungsfreien Innovation sind Recycling, Sampling und ähnliche appropriative Strategien für ihn positiv belegt, da sich darin die Akzeptanz einer – gerade im Bereich der Abstraktion – letztlich limitierten und somit zwingend repetitiven Bildsprache ausdrückt. Die Schwierigkeit, speziell beim Einzelwerk, liegt in der Sichtbarmachung der Differenz; gelingt es, besteht der Gewinn darin, dass sich das historisch zunächst Geschärfte und sodann von dieser Sinnschicht Befreite in aktualisiertem und übergeordnetem Kontext neu zur Disposition stellen lässt.