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Denise Bertschi###Haunting Home, 2020

Denise Bertschi (*1983) nimmt in ihrer Arbeit historische Begebenheiten zum Anlass, um das Verhältnis der Schweiz zur Welt zu hinterfragen. Sie thematisiert dabei Aspekte der Kolonial-geschichte der Schweiz und setzt sich mit dem Begriff der Neutralität auseinander. Für ihre Arbeiten reiste sie in die Entmilitarisierte Zone (EMZ) zwischen Nord- und Südkorea, wo seit Jahren neutrale Schweizer Militärbeobachter stationiert sind, spürte in Südafrika den Beziehungen der Schweiz zum Apartheidstaat nach oder untersuchte in Brasilien die wirtschaftlichen Seilschaften von Schweizer Handelsleuten während der Kolonialzeit. Ihr Projekt mit dem Titel Haunting Home, das sie für ihre Ausstellung anlässlich des Manor Kunstpreises 2020 im Aargauer Kunsthaus realisierte, führte die Künstlerin zurück in ihre Heimatstadt Aarau. 

Anknüpfend an den Werkkomplex Helvécia, Brazil (2017), in dem sie die Geschichte der gleichnamigen, einst von Schweizern in Bahia betriebenen Kaffeeplantage beleuchtete, richtete Bertschi nun den Fokus auf Figuren der Aargauer Wirtschaftselite, die im 19. Jahrhundert rege ökonomische und kulturelle Verbindungen nach Brasilien pflegten. Ihre Protagonisten fand sie grösstenteils im Umfeld der einflussreichen Aargauer Familie Frey, die in der Textil- und Chemieindustrie und später in der Schokoladenherstellung führend war. 

In der knapp vierzigminütigen 2-Kanal-Installation Haunting Home (2020), dem Kern des Projekts, deckt Bertschi einige dieser selbst vielen Aarauern und Aarauerinnen unbekannten Geschichten auf. Sie verwebt die Erinnerungen zweier Brasilienreisender mit Schauplätzen in Aarau und dort entdeckten Objekten zu einer Ton-Bild-Collage. Örtlichkeiten wie etwa das ehemalige Gewerbemuseum oder der Frey-Kanal in der Telli sowie Archivalien aus dem Staatsarchiv oder dem auf die Frey-Dynastie spezialisierten Fritz Springer Industrie-Archiv werden in abtastenden Kamerafahrten zu Zeugen historischer Begebenheiten. Sophie Auguste Kummler-Frey (1840 – 1915) und ihr Sohn Hermann Kummler (1863 – 1949) haben die Eindrücke von ihren Reisen, die sie im Abstand von über dreissig Jahren unternahmen, in Memoiren schriftlich festgehalten. Auszüge daraus bilden die Tonspur zur Videoarbeit und beschreiben Brasilien zu einer Zeit, als Schweizer Handelsleute Plantagen verwalteten, mit Rohstoffen handelten und neue Absatzmärkte für ihre Importprodukte suchten. Es sind Erzählungen aus einer privilegierten Perspektive über die Begegnung mit dem Fremden, über Alltag und Feste, die Lebenssituation der Indigenen sowie über Fauna und Flora. Auch das dunkle Kapitel der Sklaverei und Rassismus werden thematisiert. Bertschi stellt den Reiseberichten Bilder der Hinterlassenschaften der Aargauer Handelsleute in Aarau gegenüber. So hören wir etwa, wie Hermann Kummler auf einer seiner naturwissenschaftlichen Erkundungen mit einer Schlange kämpfte, während uns Bertschi mit ihrer Kamera durch die Bestände an Schlangenhäuten im Naturama führt. 

Yasmin Afschar